Bezirk Herford/Vlotho. Hans-Werner Meyer, Gemeindeleiter i. R., schrieb „Das Wort zum Sonntag“ für die Ausgabe der Vlothoer Zeitung vom 16./17. Oktober 2021.
Gemeinschaft mit anderen Menschen zu haben, kann etwas Wunderschönes sein. Zusammen in einem Dorf wohnen, zusammen in einer Kirchengemeinde leben, ein Team am Arbeitsplatz bilden. Das verspricht Freude, Austausch, Geborgenheit, ein Gefühl von Stärke und Sicherheit. So erreicht man manche Ziele viel leichter als alleine. Doch was passiert, wenn etwas schiefläuft, wenn Fehler passieren, wenn einer aus der Gruppe Macht und Einfluss vergrößern will oder wenn Gefahr von außen droht?
Ja, jetzt muss dringend ein richtiger Sündenbock her. Hauptsache, ein Schuldiger ist schnell gefunden – und schon lässt sich die niederschmetternde Wirklichkeit besser ertragen.
Da wird jemandem die Schuld in die Schuhe geschoben für etwas, woran alle gerade leiden. Doch der angeblich Schuldige kann wirklich nichts dafür. Das sagt einem der klare Verstand. Doch das ist in diesem alten miesen Spiel „Wir suchen einen Sündenbock“ völlig egal. Das war schon 1975 im Lied von Rudi Carrell ‚Wann wird’s mal wieder richtig Sommer‘ so und den Schuldigen lieferte er auch gleich mit, nämlich die Volkspartei, die damals den Bundeskanzler stellte.
Menschen suchten schon in grauer Vorzeit nach einem Sündenbock und wir sehen, wie die Menschen auch heute noch ihre ‚Gemeinschaft‘ retten wollen, indem sie einen zum Sündenbock erklären. Das erstaunt umso mehr, als die Menschen heute viel gebildeter sind und sie gelernt haben, in allen Dingen mit Verstand nach der wahren Ursache zu suchen. Doch warum sollen wir uns als Teil von ‚Kirche – Gemeinde – Gemeinschaft‘ überhaupt mit diesem unappetitlichen Thema beschäftigen?
Überall, wo Menschen eine Gemeinschaft bilden, sei es auf der Arbeit, in der Familie, in einem Verein und leider auch in der Jugendgruppe, im Chor, in der Gemeinde, droht die Gefahr, dass bei passender Gelegenheit dieses uralte Spiel gespielt wird. Es wird ein Schuldiger gefunden und als Sündenbock geopfert. Das Spiel beginnt oft so unscheinbar, dass wir das mitunter erst erkennen, wenn eine oder einer aus der Gruppe ausgeschlossen und quasi davongejagt wird. Dabei trifft es nicht selten die Schwachen, die Schüchternen, die Sensiblen, die Außenseiter, die am Rande stehen, die neu in die Gruppe wollen, die etwas anders sind als die Übrigen. Und nach diesem ‚Opferritus‘ fühlt sich die Gruppe oft wie befreit. Also alle aufatmen!
Aber soll das jetzt 2021/‘22 wirklich so bleiben?
Seit Jahren können wir lesen, dass Vertreter unseres Staates, seien es Polizisten oder Politiker, als Übel gesehen, beschimpft, bedroht, angegriffen, verletzt und manchmal sogar getötet wurden. Auch Wirtschaftsführer, Ausländer und sogar Feuerwehrleute und Sanitäter wurden Zielscheibe bei der Jagd auf Sündenböcke. Auch religiös motivierte Jagd auf sogenannte „Ungläubige“ und Andersgläubige, die angeblich an vielen Missständen und Übeln schuld sind, gründen auf dem Sündenbockprinzip. Viele könnten hier noch genannt werden! - Wo immer es uns begegnet, dieses miese Spiel, sollten wir dem entschieden entgegentreten. Jesus Christus hat uns dafür gute Beispiele gegeben. Schauen wir genau hin, folgen wir dem christlichen Gebot und verschenken wir noch mehr Liebe und Vergebung. Mitmenschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Toleranz sind gefragter denn je.
Sei dabei!
Aber woher kommt der Begriff „Sündenbock“?
Am großen Versöhnungstag des alten Volkes Israel wurde jährlich ein Ziegenbock symbolisch mit den Sünden der Menschen beladen und mit der Absicht in die Wüste geschickt, dass er nicht wieder zurückkehrt. Später ging man noch mehr auf Nummer sicher, führte den besagten Ziegenbock zu einer hohen Klippe und stieß ihn über die Kante.
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16. Oktober 2021
Text:
Hans-Werner Meyer
Fotos:
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